Ehe.de: Frau Scherk, was genau ist eine systemische Beratung?
Simone Scherk: Systemische Beratung bedeutet, dass der Klient ein Teil seiner Umwelt ist, Teil seiner Familie, seiner Paarbeziehung, seiner Berufswelt. Die Probleme, die der Ratsuchende lösen will, entstehen nämlich in der Wechselwirkung mit seinen Mitmenschen. Deshalb bezieht die systemische Beratung diese Umwelt immer mit ein. Als positive Wirkung zeigt sich dann, dass die erarbeiteten Veränderungen langfristig wirken.
Ein weiteres Merkmal ist, dass ein systemischer Berater bzw. Therapeut dem Klienten auf der Basis einer sehr achtungsvollen Haltung begegnet. So entsteht eine vertrauensvolle Beziehung auf Augenhöhe.
Der Klient entwickelt dann in diesem Klima eigenverantwortlich, selbstbewusst und kreativ die eigenen Lösungen.
Ein drittes wichtiges Merkmal der systemischen Beratung ist die Lösungsorientierung. Zu Beginn der Beratung erleben die Klienten ihr Problem als groß, schwer, oft unlösbar. Der Blick auf Lösungen und die ganze Handlungsfähigkeit sind dadurch eingeschränkt. Ermutigt man nun die Klienten, einen Schritt weiterzugehen und mögliche oder scheinbar noch unmögliche Lösungen zu entdecken, wird viel Gestaltungskraft frei. Als nächstes werden die angestrebten Veränderungen in konkrete, leichte Schritte umgesetzt, die dann bis zur nächsten Beratung ausprobiert und getestet werden.
Die systemische Beratung untersucht also weniger das Problem, sondern befasst sich mit den ersehnten Veränderungen.
Ehe.de: Mit welchen Problemen kommen Menschen zu Ihnen?
Simone Scherk: Das ist ganz unterschiedlich. Neben Anfragen wegen Familientherapie, Erziehungsberatung, Lebens- oder Seniorenberatung und auch Coaching kommen vor allem Paare zu mir in die Praxis.
Diese haben sehr individuelle Anliegen. Es kommen Paare, die ihrer Beziehung wieder neuen Schwung geben wollen. Paare mit Vertrauensdefiziten, Eifersucht, sexuellen Problemen, Erziehungsschwierigkeiten bis hin zu Paaren, die Mediation für ihre Trennung wünschen.
Ehe.de: Sind es eher die Männer oder Frauen, die Ihre Praxis aufsuchen?
Simone Scherk: Den ersten Schritt, eine Paarberatung in Erwägung zu ziehen, macht meistens die Frau. Aber auch Männer vereinbaren den Ersttermin, wenn sie berechtigte Befürchtungen haben, Ihre Frau zu verlieren, zum Beispiel weil diese fremdgeht oder sich offensichtlich zurückzieht.
Zu den Paarsitzungen kommen dann meist beide Partner. Beginnt ein Partner aber allein, ist der andere i. d. R. später zu gewinnen.
Etwas anders sieht es bei Lebens- und Seniorenberatung aus. Diese wird häufiger von Frauen in Anspruch genommen, dagegen Coaching mehr von Männern.
Ehe.de: Bei Trennungen von Paaren, die sich einst geliebt haben, sind häufig Kinder betroffen. Was raten Sie Eltern, damit Kinder nicht allzu sehr leiden?
Simone Scherk: Die Trennungskinder brauchen Entlastung.
Man darf sie nicht zu Vertrauten machen, sondern sollte ihnen Halt geben und Platz für ihre widerstreitenden Gefühle. Ganz wichtig ist auch die Sicherheit, weder Vater noch Mutter zu verlieren.
Kinder brauchen das Gefühl, nicht schuld an der Trennung zu sein und sie benötigen Klarheit über die Bedingungen des neuen Lebens.
Ehe.de: Sie sprechen auf Ihrer Homepage von Erziehungsfallen. Was ist damit gemeint?
Simone Scherk: Es gibt typische Erziehungsfallen, in die fast alle Eltern geraten. Dabei kann man diese leicht vermeiden, wenn man sie kennt. Ich will einige Beispiele aufzählen: beispielsweise die Überbehütung, oder Kinder zu über- oder unterfordern, sie zu sehr zu verwöhnen, dauernd zu kritisieren, Kinder zu wenig oder übermäßig zu loben.
Eltern reagieren im Regelfall in bester Absicht, denn so gut wie alle Eltern wollen sie das Beste für ihr Kind. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, jede Erziehungsfalle zu vermeiden: Wenn man als Eltern unsicher ist, wie man sich verhalten soll, kann man sich einfach fragen: Was stärkt mein Kind? Wie muss ich mich verhalten, damit mein Kind daran wächst? Dann wird klar, was das Kind jeweils braucht und was seine Entwicklung fördert.
Ehe.de: Sind Trennungskinder Ihrer Erfahrung nach eher introvertiert oder wütend?
Simone Scherk: Trennungskinder sind fast immer zumindest unbewusst wütend und oft gleichzeitig introvertiert. Schließlich haben sie im besten Fall zwar weiterhin Vater und Mutter, aber die Eltern als Einheit haben sie verloren.
In der Regel kämpfen Scheidungskinder mit einem Gefühlswirrwarr, bei dem sie zum Entwirren Hilfe brauchen. Generell sind alle Gefühle wichtig und erlaubt. Nur dann können sie bewältigt werden.
Oft haben Trennungskinder leider verlernt, ihre Schwierigkeiten zu zeigen. Manchmal ist ihnen gar nicht bewusst, dass sie wütend oder traurig sind. Denn in der Trennungssituation ist für negative Gefühle zu wenig Raum. Scheidungskinder schützen dann die Eltern vor noch mehr Problemen und behalten ihre eigenen für sich.
Sehr hilfreich ist dann der Austausch mit anderen betroffenen Scheidungskindern. Man fühlt sich eher verstanden und es entlastet, dass auch Andere die gleichen Probleme haben.
Ehe.de: Thema Sexualität – sie ist ein wichtiger Baustein in einer Beziehung. Was sind hier die häufigsten Problemfelder?
Simone Scherk: Auch das ist völlig unterschiedlich. Es gibt Unlust bei einem oder beiden Partnern, Ängste, Sprachlosigkeit, keinerlei Zärtlichkeiten oder Berührungen, Außenbeziehungen und vieles mehr.
Wichtig ist, die Partner in der Beratung zu unterstützen, Unzufriedenheiten und Defizite offen anzusprechen. In einem offenen taktvollen und vertrauensvollen Klima üben die Partner, ihre Gefühle, Wünsche, Lüste, Abneigungen, Ängste und Grenzen dem anderen mitzuteilen. Zuhause erprobt das Paar dann, ob die gemeinsam abgesprochen neuen Umgangsformen beide glücklicher machen, bis beide die gemeinsame Sexualität wieder erfüllend erleben.
Oft entstehen sexuelle Probleme allerdings nur als Reaktion auf ganz andere gemeinsame Schwierigkeiten. Dann gilt es, erst einmal diese zu lösen. Danach stellt sich die sexuelle Zufriedenheit entweder wieder von selbst ein, oder das Paar wird auch hierbei unterstützt.
Ehe.de: Was raten Sie einer Mutter mit kleinen Kinder, die von ihrem Ehemann verlassen wird?
Simone Scherk: Diese Mutter steckt in einer schweren Krise und braucht jegliche Hilfe, die sie entlastet und stärkt. Sie muss, trotz dieses Traumas für die Kinder einigermaßen funktionieren. Freunde und unterstützende Helfer sind genauso wichtig wie die Verordnung von entspannenden und kräftigenden Unternehmungen. Das können regelmäßige Cafebesuche mit der besten Freundin sein, die Ausübung eines Lieblingshobbies oder einfach nur ein tägliches heißes Bad. Alles, was gut tut, ist in dieser Situation hilfreich!
Ehe.de: Wenn gar nichts mehr geht, raten Sie dann zu einer Trennung/Scheidung?
Simone Scherk: Nein, diese Entscheidung kann nur das Paar für sich treffen. Manche Paare, ohne viel Hoffnung für ihre Beziehung, werden auch für mich überraschend schnell wieder glücklich. Hingegen andere, obwohl vielleicht sehr bemüht oder äußerlich recht harmonisch, finden in einer gütlichen Trennung den für sie richtigen Weg.
Ehe.de: Was sind Ihre Beziehungstipps für eine glückliche Partnerschaft?
Simone Scherk: Man sollte auf die schönen, passenden und beglückenden Dinge sehen und sich besinnen auf das, was man am Partner mag. Auch, was man gemeinsam geschaffen hat.
Ganz wichtig ist weiterhin, sich regelmäßig Zeit füreinander zu nehmen und dann gemeinsam etwas Schönes zu unternehmen. Besteht ein Konflikt mit Klärungsbedarf, sollte man das Gespräch auf ca. 20 Minuten begrenzen. Ein Konfliktgespräch ist erfolgreicher, wenn man die eigenen Gefühle anspricht und auf die Gefühle des Partners antwortet. Die inhaltliche Ebene ist eher unwichtig.
Ehe.de: Und was sind Ihre Glückstipps für einen Neustart nach einer Scheidung?
Simone Scherk: Betroffene sollten die Kontakte nach einer Trennung und Scheidung die ersten Monate oder gar Jahre reduzieren. Man sollte möglichst versuchen, sich lediglich auf der Elternebene austauschen, nicht mehr auf der Paarebene.
Das wirkliche Abschiednehmen und Loslassen des früheren Partners ist wichtig für einen guten Neustart, d.h. man sollte alle schlimmen und schlechten Erfahrungen zurücklassen, und die guten Anteile der Beziehung als eigenes gelebtes Leben mitnehmen.